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02.01.2023
Von: Dr. Klaus-Michael Menz
Behavioral Finance, oder verhaltensorientierte Finanzmarktforschung, wie man im deutschen Sprachraum sagen würde, ist ein interdisziplinäres Fachgebiet zwischen Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Soziologie, das sich mit der Erforschung der menschlichen Verhaltensweisen im Zusammenhang mit finanziellen Entscheidungen und dem Anlageverhalten auf den Finanz- und Kapitalmärkten befasst. Im Gegensatz zur traditionellen, neoklassischen Finanztheorie, die davon ausgeht, dass Menschen rational handeln und ihre Entscheidungen aufgrund von vollem Wissen und klaren, stabilen Präferenzen treffen und damit dem Leitbild des nutzenmaximierenden „Homo oeconomicus“ entsprechen, geht die Behavioral Finance davon aus, dass menschliches Verhalten durch Emotionen, Vorurteile und andere psychologische Faktoren beeinflusst wird, die das Denken und Verhalten beeinträchtigen können.
Natürlich stellt sich nun die Frage, welchen praktischen Wert diese Erkenntnisse für den Anleger und die Anlagepolitik an den Finanz- und Kapitalmärkten haben. Tatsächlich herrschte spätestens seit der bahnbrechenden Arbeit von Fama (1970) die Vorstellung vor, dass Finanzmärkte jederzeit effizient sind und alle bewertungsrelevanten Informationen sofort, vollständig und „richtig“ in den Wertpapierkursen Niederschlag finden. Eine Implikation davon wäre, dass Wertpapierkurse nicht prognostizierbar wären und Kursverläufe mehr oder minder zufällig wären. Wenn aber Kursentwicklungen zufällig wären, dann würde sich zum Beispiel auch keine fundamentale Analyse von Aktienunternehmen mehr lohnen. Würde aber kaum noch ein Anleger mehr intensive Unternehmens- und Bilanzanalyse betreiben, wäre auch nicht mehr sichergestellt, dass sich die Wertpapierkurse effizient entwickeln. Das Konzept effizienter Märkte wirkt nicht widerspruchsfrei.
Die verhaltensorientierte Finanzmarktforschung hat mit ihren vielen Beiträgen dazu beigetragen, sogenannte "Finanzmarkt-Anomalien" zu identifizieren, die sich als Abweichungen von den Annahmen der klassischen, rationalen Finanztheorie einstufen lassen und somit die Gültigkeit der Effizienzmarkthypothese erheblich in Frage stellen (siehe Überblick bei Shleifer, 2000). So hat unter anderem Nobelpreisträger Robert Shiller nachgewiesen, dass sich Aktienkurse tatsächlich stärker bewegen, als es fundamentale, rationale Bewertungseinflüsse erwarten lassen. Fisher Black (1986) prägte den Begriff des "Noise"-Tradings, also des Wertpapierhandels von Anlegern ohne fundamentale Auslöser. Ein anderes Finanzmarktphänomen ist die sogenannte Überreaktion (im Englischen bekannt als „Overreaction“). Hinter dem Effekt verbirgt sich eine langfristig erzielbare Über- oder Unterrendite mit Aktienportfolios oder einzelnen Wertpapieren, die sich in der Historie unter- oder überdurchschnittlich entwickelt haben. Auch diese Beobachtungen widersprechen der These vom effizienten Markt, denn historische Informationen dürften sich demnach nicht für profitable Investmentstrategien in der Zukunft ausnutzen lassen. Ein ähnlich gelagerter Effekt ist die Unterreaktion (auf historische Informationen), die auch als Momentum-Anomalie bekannt ist. Diese empirische Beobachtung beschreibt einen mittelfristig anhaltenden Performancetrend, der eine positive Autokorrelation der Renditen und damit eine Prognostizierbarkeit von Kursentwicklungen impliziert. Dieses Kapitalmarkt-Phänomen wurde im Zusammenhang mit unterschiedlichen Ereignissen dokumentiert: unter anderen nach höheren und niedrigen Dividenden- und Gewinnankündigungen, nach Ankündigen von Aktien-Splits, nach Aktienrückkaufen und nach Firmenabspaltungen (siehe Hirshleifer, 2001). Der sogenannte „Size“-Effekt tritt hingegen auf, wenn kleine Aktien-Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung risikoadjustierte Überrenditen erzielen, die nicht mit anderen fundamentalen Faktoren erklärt werden können als durch ihre Größe. Diese Anomalie wurde bereits erstmals im Jahre 1981 durch Banz dokumentiert.
Neben den genannten Finanzmarkt-Anomalien hat die verhaltensorientierte Kapitalmarktforschung noch viele weitere Auffälligkeiten dokumentiert, u.a. zu wiederkehrenden, prognostizierbaren saisonalen Rendite-Mustern (z.B. Januar-Effekt, Wochenend-Effekt). Darüber hinaus liefert sie zu den empirischen Belegen auch theoretische Erklärungen für diese Anomalien. Eines der wichtigsten Konzepte der Behavioral Finance ist dabei das Konzept der kognitiven Verzerrungen („behavioral biases“) oder auch systematische Urteilsfehler, die das menschliche Verhalten im Zusammenhang mit finanziellen Entscheidungen beeinflussen. Diese kognitiven Verzerrungen und Heuristiken können sich auf verschiedene Aspekte des Denkens und Verhaltens auswirken, einschließlich der Art und Weise, wie Menschen Informationen verarbeiten, ihre Risikobereitschaft einschätzen und ihre finanziellen Ziele setzen.
Einige Beispiele für psychologische Verzerrungen und Heuristiken, die in der Behavioral Finance aufgedeckt und untersucht werden, sind:
In der Gothaer Asset Management fließen die neuen Erkenntnisse der Behavioral Finance-Forschung in den Investmentprozess ein, wobei prozessuale und organisatorische Maßnahmen implementiert wurden, um negative Effekte durch kognitive Verzerrungen und systematische Urteilsfehler auf die Anlageperformance zu mitigieren oder zu verhindern:
Dem Anchoring wird entgegengewirkt, indem im Anlageprozess der Gothaer alternative Einschätzungen berücksichtigt werden und bei Prognosen möglichst andere Vorhersagen zunächst ignoriert werden, um das eigene Urteil nicht „zu verankern“. Zudem werden möglichst „harte“, fundamentale Bewertungsmodelle eingesetzt, statt nur auf „weiches“ Sentiment zu setzen. Gegen das Problem der Verlustaversion helfen im Portfolio-Management liquider Wertpapiere konsequente Anlagedisziplin über die Festsetzung vordefinierter Kursziele und die Definition von Risikobudgets, die bei Erreichen automatisch eine Handlung auslösen. Auch die Implementierung eines Limitsystems wirkt dieser Problematik teilweise entgegen. Der systematische Rückschaufehler oder Hindsight Bias führt dazu, dass eigene Anlageurteile falsch reflektiert sowie Prognose- bzw. Entscheidungsfehler wiederholt werden. In der Portfolio-Management-Praxis werden daher Dokumentationen der wesentlichen Entscheidungen und Prognosen angefertigt und intern abgelegt: Die nachträgliche Analyse von Zeitpunkt der Entscheidung, des jeweiligen Datenkranzes und der historischen Interpretation erlauben eine Fehleranalyse und Lerneffekte für zukünftige Entscheidungen.
Die Behavioral Finance bietet auch Einsichten in die Art und Weise, wie Gruppendynamik und soziale Einflüsse das finanzielle Verhalten von Individuen beeinflussen können. Zum Beispiel wurde eine Herdenmentalität nachgewiesen, wonach Anleger dazu neigen, die gleichen Investment-Entscheidungen zu treffen, die andere Investoren bereits vor ihnen getroffen haben. Gerade Entscheidungen von Gruppen sind oft noch in stärkerem Maße von psychologischen und sozialen Verzerrungen tangiert als bei Einzelpersonen. Daher werden in bestimmten Investmentprozessen der Gothaer Asset Management geheime Abstimmungen und Prognosen abgegeben, die dann von einem Moderator aggregiert werden. Idealerweise wird ein „Teufels Advokat“ eingesetzt, der die jeweiligen Urteile individuell mit Pro und Contra vorstellt und kritisch hinterfragt. Damit wird verhindert, dass Einzelne die Gruppenentscheidungen dominieren und andere sich erst gar nicht zu Wort melden.
Insgesamt hat die Behavioral Finance dazu beigetragen, das Verständnis der menschlichen Entscheidungsfindung auf den Finanzmärkten zu verbessern und hat zu einer Reihe von praktischen Anwendungen geführt, wie zum Beispiel der Entwicklung von Anlagestrategien, die auf die Verzerrungen von Investoren reagieren, oder der Verbesserung von Finanzdienstleistungen, indem man auf die spezifischen Bedürfnisse und Vorlieben von Kunden eingeht sowie der Optimierung bei der prozessual-organisatorischen Strukturierung von Investmententscheidungen, wie oben für die Gothaer Asset Management beschrieben.
Die Behavioral Finance ist jedoch auch Gegenstand von Kritik gewesen, da einige der Ergebnisse der Forschung als widersprüchlich oder schwer zu replizieren angesehen werden. Zudem gibt es auch die Frage, ob die Behavioral Finance tatsächlich in der Lage ist, die komplexen Dynamiken von Finanzmärkten vollständig zu erklären. In der Gothaer verfolgen wir daher auch weiterhin neuere wissenschaftliche Erkenntnisse, die uns helfen, das zunehmend komplexere Marktumfeld im Interesse unserer Anleger besser verstehen und managen zu können.
*Die bahnbrechende „Prospect Theory“ der beiden Psychologen Kahnemann und Tversky (1979), die diese Erkenntnisse produzierte, gilt als realistischere Erwartungsnutzentheorie als die traditionell-neoklassische mit der heroischen Annahme des perfekten Homo oeconomicus. Kahnemann erhielt für seine Forschungen 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Tversky verstarb bereits 1996.
Literatur:
Banz, R., (1981), The Relationship Between Return and Market Value of Common Stock, Journal of Financial Economics 9, S. 3-18.
Black, F. (1986), Noise, in: The Journal of Finance, 41, S. 529-543
Fama, E. (1970): Efficient Capital Markets. A Review of Theory and Empirical Work, In: The Journal of Finance. 25, S. 383–417;
Hirshleifer, D., 2001, Investor Psychology and Asset Pricing, Journal of Finance 56, S. 1533-1597.
Kahneman, D. und A. Tversky, 1979, Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk, Econometrica 47, S. 263-291.
Shleifer, A., (2000), Inefficient Markets, Oxford University Press: Oxford.1
Hinweis
Dieses Dokument ist kein vertraglich bindendes Dokument, sondern wurde von der Gothaer Asset Management AG ausschließlich zu allgemeinen Informationszwecken erstellt. Die enthaltenen Informationen sind allgemein und unverbindlich und stellen keine Handlungsempfehlung oder Finanzanalyse dar. Die Angaben ersetzen weder die individuelle Anlageberatung durch eine Bank/einen Vertriebspartner noch den fachkundigen steuerlichen oder rechtlichen Rat. In dieser Publikation enthaltene Meinungen, Prognosen, Angaben und Analysen geben die aktuellen Einschätzungen und Erwartungen der Gothaer Asset Management AG hinsichtlich der Markt- und Branchenentwicklung wieder, die ohne vorherige Ankündigung geändert werden können. Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen und Prüfung der Inhalte übernimmt die Gothaer Asset Management AG keine Haftung oder Garantie für die Richtigkeit und Vollständigkeit der in dieser Publikation enthaltenen Informationen. Stand aller Informationen, Darstellungen und Erläuterungen ist der 02.01.2023 soweit nicht anders angegeben.Eine Zusammenfassung der Anlegerrechte in deutscher Sprache ist auf www.goam.de/beschwerdemanagement zu finden.
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02.01.2023
Von: Dr. Klaus-Michael Menz
Vor wenigen Wochen gingen zwei bedeutsame internationale Konferenzen der Vereinten Nationen zum Klimawandel und zur Artenvielfalt zu Ende, die zu teilweise bahnbrechenden Ergebnissen führten.
Die 27. Klimakonferenz der Vereinten Nationen (United Nations; UN) fand im vergangenen November im ägyptischen Tourismuszentrum Scharm asch-Schaich am Roten Meer statt. An dieser Konferenz, die in der internationalen Presse meist mit dem Kürzel COP27 in den Schlagzeilen war, nahmen mehr als 20.000 Delegierte aus über 190 Staaten teil. Dabei steht COP27 für „ 27th Conference of the Parties“, also der 27. Tagung der Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention. Angesichts des fortscheitenden Klimawandels sprach der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, in seiner Rede in sehr drastischen Worten aus, was Wissenschaftler schon seit langer Zeit als Warnung aussenden: „Die Menschheit setze ihr Überleben auf Spiel, wenn sie nicht mehr Klimaschutz betreibe. Die Menschheit befinde sich auf dem Highway zur Klimahölle, habe aber den Fuß immer noch auf dem Gaspedal“. Tatsächlich zeigten diese und andere Warnungen teilweise Wirkung, denn in einer historisch zu nennenden Erklärung übernahmen die reicheren Industriestaaten erstmals Mitverantwortung für die steigenden Erdtemperaturen, die in den Entwicklungsländern zu verstärkten Schäden durch den menschgemachten Klimawandel führten und in Zukunft verstärkt führen werden. Die Industriestaaten werden deshalb einen Fonds auflegen und finanzieren, der die Entwicklungsländer für diese Schäden kompensieren soll und ihnen bei der Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel helfen soll.
Im Dezember 2022 folgte dieser historischen UN-Klimatagung ein nicht weniger wichtiges Ereignis, nämlich die 15. Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Konvention zur biologischen Diversität in der kanadischen Metropole Montreal, die im Englischen auch als COP15 abgekürzt wird (15th Conference of the Parties to the UN Convention on Biological Diversity). Die große Gefahr eines zunehmenden Aussterbens von Pflanzen und Tierarten weltweit veranlassten über 190 Nationen dazu, sich auf den Schutz und Wiederherstellung von mindestens 30% der globalen Land- und Wasserflächen bis zum Jahre 2030 zu verständigen. Ähnlich wie bei der UN-Klimakonferenz, verpflichteten sich die reicheren Industrieländer dazu, bis 2030 jährlich rund 20-30 Milliarden Dollar an ärmere Entwicklungsländer durch einen neuen Biodiversitätsfonds zu zahlen, um ihrer Mitverantwortung für die Erderwärmung gerecht zu werden und den armen Staaten, in denen der Klimawandel mit deren Begleiterscheinungen noch viel dramatischer spürbar wird, einen finanziellen Spielraum bei der Bekämpfung des fortschreitenden Verlust an biologischer Vielfalt zu ermöglichen. Darüber hinaus wurde mit COP15 ein umfassender Maßnahmenkatalog verabschiedet (siehe CBD, 2022). Kanadas Umweltminister Steven Guilbeault als Gastgeber der Konferenz verglich die getroffene Vereinbarung mit dem historischen Meilenstein des Pariser Klimaschutzabkommens aus dem Jahre 2015, in dem sich die Länder verpflichteten, den globalen Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Basis auf unter 2 Grad Celsius und idealerweise näher bis 1,5 C zu begrenzen.
Den Reigen bahnbrechender Abkommen komplettierte die Europäische Union vor wenigen Wochen, als sich das EU-Parlament und die EU-Mitgliedstaaten darauf einigten, verbindliche Regeln für Unternehmen festzulegen, die Palmöl, Rindfleisch, Holz, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Soja importieren und verkaufen, um sicherzustellen, dass diese Produkte nicht von Ländereien und Böden stammen, die vorher Opfer von großflächiger Abholzung von natürlichen Wäldern waren.
Alle drei multilateralen Vereinbarungen ist letztlich die ultimative Erkenntnis gemeinsam, dass die Natur das größte kollektive Gut ist, mit der die Menschheit im Zeitalter des Anthropozäns* zu verschwenderisch und leider auch zu zerstörerisch umgeht. Dabei gehen Schätzungen davon aus, dass rund 50% der globalen Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandsprodukt mittel- oder unmittelbar von der Natur abhängen (siehe World Economic Forum und PwC, 2020). Die Natur repräsentiert somit ein immenses Kapital.**
Um dieses verlorenes Naturkapital wiederherzustellen und bestehendes für zukünftige Generationen zu schützen, werden in den nächsten Jahren auch viele Milliarden an privaten Investitionsgeldern erforderlich sein. So werden nach jüngsten Schätzungen der Naturschutzorganisation The Nature Conservancy in Zusammenarbeit mit dem Paulson Institute und dem Cornell Atkinson Center for Sustainability (2021) jährlich global zusätzlich zwischen 598-824 Mrd. USD benötigt, um allein dem Verlust biologischer Diversität entgegenzuwirken. Auch wenn große Teil dieser Mittel demnach allein durch staatliche Maßnahmen (z.B. durch Abbau schädlicher Subventionen und Anreize) generiert werden können, werden zusätzliche private Investitionen in Naturkapital zwingend erforderlich sein.
Naturkapitalinvestitionen sollen auf die Erhaltung und Wiederherstellung natürlicher Ressourcen wie Wälder, natürliche Böden, Feuchtgebiete, Moore und anderer Ökosysteme abzielen. Diese Investitionen können auf verschiedene Weise getätigt werden, einschließlich Direktinvestitionen in Naturkapitalanlagen (z.B. durch den Erwerb von Wäldern oder landwirtschaftlicher Nutzflächen), Investitionen in Unternehmen, die auf Naturkapitalmanagement spezialisiert sind, oder Investitionen in spezialisierten Fonds, die sich auf die Investition in Naturkapital konzentrieren.
Investitionen in Naturkapital können ein breites Spektrum positiver Auswirkungen haben, und zwar von gesteigerter Wirtschaftstätigkeit in den jeweiligen Investitionsregionen bis hin zu einer verbesserten Umweltgesundheit. Diese Investitionen können vor Ort Arbeitsplätze schaffen und die lokale Wirtschaft ankurbeln, während sie insbesondere dazu beitragen, natürliche Ressourcen zu schützen und wiederherzustellen. Sie können vor allem dabei helfen, die Auswirkungen des Klimawandels zu verringern, indem sie Ökosysteme erhalten und wiederherstellen, was auch dazu beitragen kann, die Auswirkungen extremer Wetterereignisse abzumildern. Darüber hinaus können Investitionen in Naturkapital dazu beitragen, die Wasserqualität zu verbessern, die ländliche Bodenerosion zu verringern und die biologische Artenvielfalt zu schützen. Schließlich können diese Investitionen dazu beitragen, eine widerstandsfähigere und nachhaltigere Gesellschaft zu schaffen, indem sie den Zugang zu sauberer Luft, Wasser und Nahrung ermöglichen. Insbesondere das Thema Nahrung ist im Zusammenhang mit Naturkapitalinvestitionen von essentieller Bedeutung. Denn eine der größten globalen Herausforderungen, neben der Bremsung des Klimawandels und des Verlusts der Biodiversität, ist die Bekämpfung des Hungers*** weltweit. Dabei steht die Landwirtschaft nach Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen vor der immensen Herausforderung, die Produktion gegenüber 2005 um 60–100% steigern zu müssen, um eine wachsende Weltbevölkerung bis 2050 zu ernähren zu können (Alexandratos und Bruinsma, 2012). Gleichzeitig gilt die moderne, intensive Landwirtschaft auch als eine Hauptquelle für negative Auswirkungen auf unsere Natur. Beispielsweise wird die Lebensmittelproduktion mit bis zu 30% der globalen Treibhausgasemissionen und 70% des Süßwasserverbrauchs in Verbindung gebracht, und die Landwirtschaft gilt auch als Hauptursache für das Artensterben (Willett et al., 2019). Eine umweltschonendere, nachhaltige Landwirtschaft ist also zwingend für die die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele erforderlich und wird zudem zusätzlich massive Naturkapitalinvestitionen in mehrstelliger Milliardenhöhe erfordern (Donckt und Chan, 2019).
Neben den genannten messbaren Vorteilen für die Umwelt und Gesellschaft können Investitionen in Naturkapital für die Anleger auch attraktive finanzielle Renditen erwirtschaften. Beispielsweise können Anlagen in Wälder durch Holzernten, Kohlenstoffbindung (CO2-Absorption, die sogenannte "Carbon Credits" erzeugen) und andere Ökosystemdienstleistungen finanzielle Erträge erzielen. Bei Anlagen in die Landwirtschaft können Investoren neben den typischen Einnahmen aus der agrikulturellen Bewirtschaftung (regelmäßige Ernteerträge) auch von einer Verbesserung von Umwelt-Aspekten wie Biodiversität, CO2-Bindung in den Böden und Wasserqualität profitieren. Hierdurch kann nämlich eine zusätzliche Wertschöpfung, insbesondere durch die Steigerung von Bodenwerten und die Zertifizierung und Monetarisierung von CO2-Bindung, erzielt werden. Schließlich können Investitionen in die Regeneration von Feuchtgebieten und Moore durch Wasserfilterung, Hochwasserschutz und andere Dienstleistungen fallweise Erträge generieren.
Investitionen in Naturkapital haben neben dem positiven Beitrag zu den genannten globalen Nachhaltigkeitsinitiativen auch den Vorteil, dass Anleger ihre Investment-Portfolios in relativ neue Anlageklassen diversifizieren können, die mit traditionellen Wertpapieren und liquiden Finanzinstrumenten nur geringfügig korreliert sind. Zudem können Investments in Naturkapitalien offenbar auch den Anleger besser gegenüber der Geldentwertung durch die Inflation schützen (siehe Manulife, 2022). Anlagen in Naturkapital erfüllen in der Regel auch die strengen Anforderungen an ein sogenanntes „Impact Investment“, welches gemäß der Definition des Global Impact Investing Network (GIIN, 2019) Investitionen charakterisiert, die mit der Absicht getätigt werden, neben einer finanziellen Rendite auch positive, messbare soziale und ökologische Auswirkungen zu erzielen.
Angesichts der immensen Bedeutung von Naturkapital zur Begegnung der diskutierten globalen Herausforderungen und der überzeugenden Anlagevorteile für Investoren, darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass Investitionen in Naturkapital mit etlichen Risiken und praktischen Problemen verbunden sind.Investitionen in Naturkapital können nämlich schwierig zu bewerten und genau zu messen sein. Es mangelt immer noch an geeigneten Methodologien, Bewertungsansätzen und vor allem an detaillierten historischen Daten (Cojoianu et al., 2015). Investitionen in Naturkapital können riskant sein, da sie den „Launen“ von Natur, der Umwelt und des Klimawandels unterliegen. Investitionen in Naturkapital können teuer sein und erfordern erhebliche Vorabinvestitionen, bis sie oft erst nach vielen Jahren erste Erträge abwerfen. Zudem bieten Investitionen in Naturkapital möglicherweise nicht die gleichen Renditen wie traditionelle Kapitalanlagen. Tatsächlich gibt es sogar die vermehrt die Ansicht, dass es wirksames, „echtes“ „Impact Investing“ nur geben kann, wenn der Investoren bereit sind, zugunsten positiver sozialer und ökologischer Auswirkungen explizit auf Rendite zu verzichten (Born und Brest, 2013).**** Anleger sollten sich also darüber im Klaren sein, dass Investitionen in Naturkapital riskant sein können und sorgfältige Recherchen und Due Diligence erfordern. Darüber hinaus können Investitionen in Naturkapital regulatorischen und gesetzlichen Beschränkungen unterliegen, die sich auf die potenziellen Renditen auswirken können.
Und dennoch: Der fortschreitende Klimawandel und der Verlust an Biodiversität erfordern kollektives Handeln. Und zwar jetzt. Nicht erst irgendwann, wenn ausreichend Erfahrungen und Daten über Investitionen in Naturkapitalien vorliegen. Doch dazu passt das Motto der Gothaer: „Zukunft wird aus Mut gemacht“. Deshalb wird die Gothaer auch verstärkt in Naturkapital investieren. Die erste Zusage für ein solches Investment im dreistelligen Millionen-Bereich wurde bereits im Dezember 2022 abgegeben. In Zusammenarbeit mit Climate Asset Management, dem Joint Venture zwischen HSBC Asset Management und Pollination, investieren wir in nachhaltige Investments, sogenannte Impact Investments, die einen positiven Nachhaltigkeitsbeitrag leisten. Dabei stehen die CO2-Reduktion und die Steigerung der Biodiversität im Fokus. Mit der Umwandlung von Flächen in nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, gehen wir den ersten Schritt und reduzieren nicht nur vorhandene CO2-Emissionen, sondern schaffen einen positiven Beitrag zur Biodiversität durch neue oder aufbereitete Flächen“, so Christof Kessler, Vorstandssprecher der Gothaer Asset Management AG.
*Der Begriff stammt von dem Nobelpreisträger in Chemie, Paul Crutzen (2002), und charakterisiert das Zeitalter seit dem Beginn der industriellen Revolution, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist.
**In den modernen Wachstums- und Konjunkturtheorien spielt der Faktor Natur allerdings bislang nahezu keine Rolle. Dort sind die Treiber und Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung vor allem Geldkapital für private und staatliche Investitionen, Humankapital in Form der menschlichen Arbeitsleistung und der technische Fortschritt. Nobelpreisträger William D. Nordhaus war einer der ersten Ökonomen, der Umweltfaktoren in die ökonomische Analyse intergierte und die Einführung von CO2-Preisen thematisierte.
***Die Bekämpfung des Hungers („Zero Hunger“) ist eines der prioritären Ziele der Nachhaltigkeitsagenda der Vereinten Nationen, die aus 17 verschiedenen Zielen und 169 verschieden Zielvorgaben besteht. (siehe https://sdgs.un.org/)
****Im angelsächsischen Sprachraum hat sich dafür der Begriff „Concessionary Investment“ eingebürgert und definiert einen Investmentertrag unterhalb der vergleichbaren Marktrendite.
Literatur:
Alexandratos, N. und Bruinsma, J., (2012), World agriculture towards 2030/2050: The 2012 revision (No. 12-03), ESA Working Paper. Food and Agriculture Organization of the United Nations, Rome.
Born, K. und Brest, P. (2013), Unpacking the Impact in Impact Investing, Stanford Social Innovation Review. https://doi.org/10.48558/7X1Y-MF25
CBD (2022), COP15: Nations Adopt Four Goals, 23 Targets for 2030 In Landmark UN Biodiversity Agreement, Press Release. https://www.cbd.int/article/cop15-cbd-press-release-final-19dec2022
Cojoianu, T.F., Hoepner, A.G.F., Rajagopalan, R.D., Borth, D.S., (2015), Towards including natural resource risks in cost of capital: State of play and the way forward. Natural Capital Declaration, Oxford.
Crutzen, Paul (2002), Geology of mankind, Nature 415, 23. https://doi.org/10.1038/415023a
Donckt, M. und Chan, P., (2019), The new FAO global database on agriculture investment and capital stock (No. 19–16), FAO Statistics Working Paper. Food and Agriculture Organization of the United Nations, Rome.
Global Impact Investing Network (GIIN, 2019), What You Need to Know about Impact Investing, https://thegiin.org/impact-investing/need-to-know/#what-is-impact-investing.
Manulife Investment Management (2022), Navigating rising inflation and interest rates with agricultural investments, April 13, Report.
The Nature Conservancy, Paulson Institute und Cornell Atkinson Center for Sustainability (2021), “Financing Nature: Closing the Global Biodiversity Financing Gap”, Joint Report.
Willet, et al, (2019), Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. Lancet 393 (10170), 447–492. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)31788-4.
World Economic Forum und PwC, (2020), Nature Risk Rising: Why the Crisis Engulfing Nature Matters for Business and the Economy, Joint Report.
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Dieses Dokument ist kein vertraglich bindendes Dokument, sondern wurde von der Gothaer Asset Management AG ausschließlich zu allgemeinen Informationszwecken erstellt. Die enthaltenen Informationen sind allgemein und unverbindlich und stellen keine Handlungsempfehlung oder Finanzanalyse dar. Die Angaben ersetzen weder die individuelle Anlageberatung durch eine Bank/einen Vertriebspartner noch den fachkundigen steuerlichen oder rechtlichen Rat. In dieser Publikation enthaltene Meinungen, Prognosen, Angaben und Analysen geben die aktuellen Einschätzungen und Erwartungen der Gothaer Asset Management AG hinsichtlich der Markt- und Branchenentwicklung wieder, die ohne vorherige Ankündigung geändert werden können. Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen und Prüfung der Inhalte übernimmt die Gothaer Asset Management AG keine Haftung oder Garantie für die Richtigkeit und Vollständigkeit der in dieser Publikation enthaltenen Informationen. Stand aller Informationen, Darstellungen und Erläuterungen ist der 02.01.2023 soweit nicht anders angegeben.Eine Zusammenfassung der Anlegerrechte in deutscher Sprache ist auf www.goam.de/beschwerdemanagement zu finden.
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30.12.2022
Von: Marius Gero Daheim
Steuerpflichtige US Kommunalobligationen (Taxable Municipals, kurz „Munis“) sind bereits seit vielen Jahren ein wichtiger Baustein in der Kapitalanlagestrategie der Gothaer Asset Management AG (GoAM). Als Anlageklasse im US-Zinsuniversum vereinen Munis die Vorteile guter Bonität, langer Laufzeiten (besonders wichtig für Lebensversicherungen), einer relativ stabilen Kurs- bzw. Spreadentwicklung sowie einer attraktiven Verzinsung (verglichen mit US-Unternehmensanleihen) - bei insgesamt guter Marktliquidität. Die GoAM hält einen substanziellen Anteil Ihrer Zinsanlagen in dieser Assetklasse - verteilt auf drei externe, Risikokapital-optimierte Mandate mit unterschiedlichen Investmentstilen, wobei das Währungsrisiko jeweils abgesichert wird.
Munis haben im Zeitraum 2011 bis 2022 einen jährlichen Gesamtertrag von durchschnittlich 2,3% erbracht. Zum Vergleich: US Investment Grade-Unternehmensanleihen lieferten im gleichen Zeitraum nur 1,5% Gesamtertrag ab. Vor dem Hintergrund des seit 2021 weltweit erfolgten Inflationsschubes und des dadurch ausgelösten Zinsschocks haben Fixed Income Assets insgesamt im abgelaufenen Jahr sehr schlecht abgeschnitten. Munis erlitten vor allem wegen der extrem langen durchschnittlichen Restlaufzeit von ca. 12 Jahren in 2022 einen überproportionalen Verlust von -19%. Spiegelbildlich könnte 2023 aber ein ertragsstarkes Jahr für diese Assetklasse werden, falls sich in den USA Konjunktur, Geldpolitik und Finanzmärkte gemäß dem folgenden, vielerorts erwarteten Szenario entwickeln:
Die skizzierten Rahmenbedingungen sprechen u. E. insgesamt für im Jahresverlauf 2023 unveränderte oder sogar leicht sinkende US Langfrist-Renditen bei einer zumindest unverändert inversen US Treasury-Renditestruktur. Sofern die Zinsstrukturkurve für Munis diesen Vorgaben folgt, ist für diese Assetklasse damit u.a. wegen ihrer extrem langen Duration eine relativ günstige Ertragsentwicklung vorgezeichnet.
Wenngleich der Inflationsschub 2021/22 die Kostensituation vieler US-Kommunalunternehmen belastet, stehen dem aber auf der Einnahmeseite entsprechende Zuwächse bei Gebühren und Abgaben entgegen, sodass sich die Verschuldungslage bzw. Bonitätseinschätzung für den Sektor insgesamt nicht verschlechtert haben sollte. Dies spricht für die „Resilienz“ der Muni-Spreads im Falle einer zyklischen Ausweitung der Spreads von US Unternehmensanleihen.
Einen weiteren, längerfristigen (1-3 Jahres-Sicht) Positivfaktor stellt die absehbare Zunahme des Investoreninteresses an dieser Assetklasse dar. Hintergrund hierfür ist der „Financial Data Transparency Act of 2022“, der am 23.12.2022 vom US Kongress verabschiedet wurde. Dieses Gesetz schafft einen neuen elektronischen Berichtsstandard für kommunale Emittenten/Schuldner. Es wird nach Auffassung von Marktbeobachtern* die Transparenz in diesem sehr granularen und heterogenen Markt deutlich verbessern, die Markteffizienz (Preisfindung, Liquidität) erhöhen, den Marktzugang neuer Investorengruppen fördern und der Assetklasse einen zusätzlichen Nachfrageschub verleihen.
Angesichts unserer konstruktiven Einschätzung der „Steuerpflichtigen US Kommunalobligationen“ möchten wir Ihnen mit der beigefügten Publikation des spezialisierten Asset Managers MacKay Shields Municipal Managers einen Überblick über die Assetklasse, ihre Charakteristika, Marktchancen und -risiken geben.
*Vgl. Morgan Stanley „Municipal Strategy & Public Policy | North America” vom 08.12.2022: “The act mandates standardized, machine-readable financial disclosures for most issuers in the $4T muni market. (…) We think the act will let muni investors' credit screening abilities catch up to the corporate market. In particular, we expect: 1. Accelerated adoption of rules-based credit analysis; 2. Lower costs and greater economies of scale for separately managed accounts; and 3. Improved market liquidity for small issuers.”
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28.09.2022
Von: Teammitglieder Liquid Assets
Seit die Inflationsraten in den USA und Europa im Frühjahr 2021 die Schwelle von zwei Prozent überschritten haben, verfolgen Marktteilnehmer, Ökonomen und Zentralbanken die monatlichen Berichte von der Preisfront mit wachsender Nervosität. Im Laufe des zweiten Halbjahres wurde immer offensichtlicher, dass die ursprüngliche Einschätzung des Inflationsschubs als “transitorisch“ falsch war. Denn wäre dieser allein durch Basiseffekte im Zusammenhang mit der weltweiten COVID-Rezession 2020 getrieben gewesen, hätte er spätestens im Juli (USA) bzw. September (Deutschland, Euroraum) 2021 enden und die monatlichen Inflationsraten von den seinerzeit erreichten Niveaus um 5% allmählich sinken müssen.
Abbildung 1: Inflationsraten im Vergleich (Quelle: Eigene Darstellung, Bloomberg, Juni 2022)
Ebenso verfehlt wie die Diagnose war die hierauf basierte Entscheidung der Geldpolitik, durch den vermeintlichen „Inflationsbuckel“ hindurchzusehen und auf Gegenmaßnahmen zu verzichten. Ende 2021 zogen die Bank of England und die US Federal Reserve als erste Notenbanken die Konsequenz aus dieser Einsicht und schalteten in den Inflationsbekämpfungs-Modus um. Zahlreiche Notenbanken weltweit haben inzwischen ebenfalls ihren Kurs in Richtung einer strafferen Geldpolitik geändert; als eine der letzten großen Zentralbanken hat im Juni nun auch die EZB eine Leitzinswende angekündigt.
Obwohl die bisherigen Reaktionen der Notenbanken bereits zu einer deutlichen Rückbildung der marktbasierten Inflationserwartungen geführt haben, setzte sich die Beschleunigung der Inflation bis zuletzt weitgehend ungebremst fort. Getrieben wird die Preisdynamik von
Auf den vorgelagerten Preisstufen - den Import- und Erzeugerpreisen - bleibt der Preisdruck auch am aktuellen Rand extrem hoch und zwingt Unternehmen immer stärker, ihre Kostensteigerungen auf die Endverbraucher zu überwälzen. Wie die folgende Grafik zeigt, findet diese Preisüberwälzung in Deutschland derzeit in weit stärkerem Maße statt als in früheren Inflationszyklen, so dass die Verbraucherpreis-Inflation inzwischen aus ihrer langjährigen Bandbreite von -1 bis +4% nach oben ausgebrochen ist. Dennoch: Die extreme Spreizung zwischen Erzeugerpreis- und Verbraucherpreis-Inflation impliziert, dass der Druck auf die Unternehmensgewinne höher denn je zuvor ist.
Abbildung 2: Deutschland: Import-, Erzeuger- und Verbraucherpreise (Quelle: Eigene Darstellung, Bloomberg, Juni 2022)
Während zu Beginn der Entwicklung vor allem die Verteuerung von Energie als Inflationstreiber wirkte, weitete sich der Teuerungsdruck im weiteren Verlauf auf vielfältige andere Waren und Dienstleistungen aus, für deren Herstellung und Transport Energie ein relevanter Kostenfaktor ist. Beispielsweise verteuerte sich beispielsweise die Produktion von Kunstdünger (bei der Erdgas ein wichtiger Produktionsfaktor ist) so stark, dass Dünger-Hersteller die Fertigung zeitweise mangels Rentabilität einstellten. Die resultierende Angebotsverknappung wiederum wirkte in der Landwirtschaft sowohl kostensteigernd als auch ertragsmindernd, wodurch im nächsten Schritt auch Lebensmittelpreise unter Aufwärtsdruck gerieten. Ein zweites Beispiel sind die extremen Preissteigerungen bei den energieintensiven Industriemetallen Stahl und Aluminium, die zu starken Kostensteigerungen u.a. in der Bauindustrie und dem Fahrzeugbau führten.
Abbildung 3: CRB Rohstoffpreis-Index und Subindizes (Quelle: Eigene Darstellung, Bloomberg, Juni 2022)
Unsere Analyse des deutschen Verbraucherpreis-Indexes zeigt, dass der Preisdruck im Vergleich zum Zeitraum 2017-2021 stark zugenommen und inzwischen die Mehrzahl der im Warenkorb enthaltenen Gütergruppen erfasst hat: Acht der zwölf Subindizes wiesen im April „überhöhte“ Teuerungsraten auf (d.h. Inflationsraten über 2,5% - in der untenstehenden Grafik rot markiert). Auffällig ist dabei, dass die höchsten Teuerungsraten in den Energiekosten-intensiven Bereichen „Verkehr“ und „Wohnung“ ausgewiesen werden - den beiden Gütergruppen mit den höchsten Gewichtsanteilen (zusammen ca. 45% des Gesamtindexes). Dies unterstreicht die zentrale Rolle der Energiepreise für die Inflationsdynamik. Ebenfalls deutlich überhöht im Vergleich der letzten fünf Jahre erscheint die Teuerungsrate in dem mit knapp 10% gewichteten Bereich „Nahrungsmittel“.
Um eine Schätzung der Inflationsentwicklung nach Warengruppen für die Jahre 2022-2024 zu erhalten, haben wir die Preistrends der letzten fünf Jahre nach vorne projiziert. Wir gelangen so zu der Erwartung eines allmählich abebbenden Teuerungsdrucks bzw. einer Halbierung der Jahresinflation im Jahr 2024 gegenüber 2022. Dabei fällt die Anzahl der Warengruppen mit Inflationsraten über 2,5% von sieben auf fünf. Damit wäre der Preisdruck allerdings immer noch deutlich breiter gelagert als im Zeitraum 2017-2021, als nur zwei der zwölf Subindizes eine Jahresteuerung über 2,5% auswiesen.
Abbildung 4: Deutschland Vebraucherpreisindex (Quelle: Eigene Darstellung, Bloomberg, Juni 2022)
Das Ergebnis unserer Analyse wird dabei maßgeblich von dem gewählten Prognoseansatz bestimmt. Da wir für die Prognose der Inflation den drei Jahren 2022-2024 die Preistrends der jeweils vorhergehenden fünf Jahre heranziehen, wird die Prognose 2022 noch von den vier „Niedriginflations“-Jahren 2017-2020 geprägt. Dagegen fallen bei der Prognose für 2024 die Preistrends der „Hochinflations“-Jahre 2021-2023 stärker ins Gewicht.
Ein wichtiger Einflussfaktor für die längerfristige Inflationsdynamik ist die Lohnentwicklung. Sie könnte im ungünstigsten Falle in einer Lohn-Preis-Spirale münden, in der sich die Lohnzuwächse dauerhaft vom Wachstum der Arbeitsproduktivität abkoppeln und die resultierenden Kostensteigerungen von Unternehmen auf die Absatzpreise überwälzt werden. Dies wäre für die Notenbanken das „die Lohnkostensteigerungen worst case“-Szenario, da sie dann einen so restriktiven Kurs einschlagen müssten, dass die Wirtschaft in eine Rezession fiele. Die damit verbundenen hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten gilt es möglichst zu vermeiden. Erforderlich ist hierfür allerdings frühzeitiges und entschlossenes Handeln der Geldpolitik, das eine Entankerung der Inflationserwartungen verhindert.
Abbildung 5: Lohnkosten: USA vs. Euroraum (Quelle: Eigene Darstellung, Bloomberg, Juni 2022)
Vergleicht man in Abbildung 5 die Lohndynamik in den USA und im Euroraum, so erkennt man, dass die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale in den USA mit einem Lohnwachstum von ca. 4,5% im ersten Quartal 2022 etwas höher ist als im Euroraum, wo die durchschnittlichen Tariflöhne zuletzt um 2,8% gestiegen sind. Aber auch hier ist eine deutliche Beschleunigung des Lohnwachstums gegenüber dem Vorquartal erkennbar, die sich - angesichts der Signale von laufenden und bevorstehenden Tarifverhandlungen - in den kommenden Quartalen fortsetzen dürfte. Gerade weil die Geldpolitik durch ihre Fehleinschätzung der Inflation als „transitorisch“ ins Hintertreffen geraten war, muss sie nun umso schneller agieren, um wieder „vor die Kurve“ zu kommen – mit „großen“ Zinsschritten um 50 oder sogar 75 Basispunkte, wie aktuell für die Fed erwartet.
Ein beschleunigter Lohnanstieg in einer Größenordnung von 3,5-4,5% ist für 2022 absehbar, ebenso wie eine daraus resultierende Lohnkosten-Überwälzung, die den Inflationsgipfel im Euroraum in Richtung Jahresende verlagern dürfte. Die Lohnsteigerungen im kommenden Jahr dürften etwas niedriger als 2022 ausfallen. Sofern keine neuen Inflationsimpulse von anderer Seite eintreten, könnte daher die Lohnentwicklung den grundsätzlich erwartbaren Rückgang der Inflationsraten zwar bremsen, würde ihn aber nicht umkehren.
Wie sind die langfristigen Perspektiven für die Inflation? - Die meisten der derzeitigen Inflations-Treiber - siehe unsere Aufzählung oben - sind weder strukturell noch system-immanent. Insofern erscheint grundsätzlich die Erwartung berechtigt, dass die aktuellen Preissignale im Zeitablauf
Die entscheidende Frage ist also nicht ob, sondern wann die Teuerung wieder ihren mittelfristigen Zielwert von zwei Prozent erreichen wird.
Einen Hinweis hierfür liefern die Kapitalmärkte mit ihrer Bepreisung inflationsbesicherter Anleihen. Die sogenannte „Breakeven“-Inflation, berechnet als Differenz zwischen der Rendite einer konventionellen Festzins-Anleihe und der Rendite einer inflationsbesicherten Anleihen mit sonst gleichen Ausstattungsmerkmalen, lässt sich als durchschnittliche Inflationserwartung der Marktteilnehmer über die Laufzeit der betrachteten Anleihen interpretieren. Vergleicht man die Breakeven-Inflation für Anleihen mit unterschiedlich langen Laufzeiten, kann man daraus ein Verlaufsprofil für die erwartete Inflation ableiten. Wie Abbildung 6 zeigt, erwarten die Marktteilnehmer zurzeit auf Sicht der nächsten zwei Jahre etwa 4,7% Inflation, auf Sicht von fünf Jahren 3% und auf Sicht von zehn Jahren ca. 2,4% Inflation.*
* Datenquelle: Bloomberg. Die generischen Breakeven-Inflationsraten entsprechen nicht exakt der von Bloomberg genannten Laufzeit. Die aktuell ausstehenden (und von Bloomberg zur Berechnung verwendeten) inflationsgesicherten Bundesanleihen haben Restlaufzeiten von 0,8 Jahren, 3,8 Jahren bzw. 10,8 Jahren.
Abbildung 6: Breakeven-Inflation von Bundesanleihen nach Restlaufzeit (Quelle: Eigene Darstellung, Bloomberg, Juni 2022)
Der Blick nach vorne
Der erneute Anstieg der Inflation in den USA und Euroraum im Mai hat gezeigt, dass die genannten Inflationstreiber weiterhin wirksam sind und der Inflationsgipfel daher wohl immer noch vor uns liegt. Die erkennbare Bremsung der Wirtschaft, v.a. des privaten Konsums durch die eingetretenen Kaufkraft-Verluste, spricht zwar dafür, dass der Höhepunkt der Teuerungswelle bald überschritten werden könnte. Andererseits steht dem Euroraum aber eine Beschleunigung des Lohnanstieges erst noch bevor; dies dürfe den Inflationsanstieg nochmals verstärken und verlängern.
Die von Fed und EZB avisierte Straffung der Geldpolitik wird wegen der zunehmenden Konjunkturgefahren immer mehr zu einer Gratwanderung. Wir trauen der US Notenbank zu, ihren Leitzins zumindest eine Zeitlang auf ein restriktives Niveau (Fed Funds: 3,25-3,75 %) zu erhöhen und notfalls eine Rezession zu tolerieren, um der Inflation das Rückgrat zu brechen. Dagegen hegen wir eine gewisse Skepsis, ob die EZB den Kampf gegen die Inflation mit der gleichen Entschlossenheit führen wird wie in den letzten Jahren gegen die Deflation. Ihre Leitzinserhöhungen dürften lediglich auf ein „neutrales“ Zinsniveau (Einlagensatz: 1,25-1,5 %) führen.
Eine Rückkehr der Hochinflations-Ära der Siebziger Jahre ist unseres Erachtens unwahrscheinlich angesichts der deutlich veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (u.a. weltweit integrierte Finanz- und Gütermärkte, verringerte gewerkschaftliche Verhandlungsmacht, Aufgabe der Lohnindexierung). Wenngleich die Langfrist-Trends Deglobalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel per Saldo eine Rückkehr zu der Niedriginflation der letzten 20 Jahre verhindern dürften, wird als ein inflationsdämpfendes Gegengewicht die Digitalisierung wirksam bleiben.
Hinweis
Dieses Dokument ist kein vertraglich bindendes Dokument, sondern wurde von der Gothaer Asset Management AG ausschließlich zu allgemeinen Informationszwecken erstellt. Die enthaltenen Informationen sind allgemein und unverbindlich und stellen keine Handlungsempfehlung oder Finanzanalyse dar. Die Angaben ersetzen weder die individuelle Anlageberatung durch eine Bank/einen Vertriebspartner noch den fachkundigen steuerlichen oder rechtlichen Rat. In dieser Publikation enthaltene Meinungen, Prognosen, Angaben und Analysen geben die aktuellen Einschätzungen und Erwartungen der Gothaer Asset Management AG hinsichtlich der Markt- und Branchenentwicklung wieder, die ohne vorherige Ankündigung geändert werden können. Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen und Prüfung der Inhalte übernimmt die Gothaer Asset Management AG keine Haftung oder Garantie für die Richtigkeit und Vollständigkeit der in dieser Publikation enthaltenen Informationen. Stand aller Informationen, Darstellungen und Erläuterungen ist der 28.09.2022 soweit nicht anders angegeben.Eine Zusammenfassung der Anlegerrechte in deutscher Sprache ist auf www.goam.de/beschwerdemanagement zu finden.
Herausgegeben von Gothaer Asset Management AG, Arnoldiplatz 1, 50969 Köln, Germany, HRB 55099
31.03.2022
Von: Teammitglieder Liquid Assets
Wie in den westlichen Ländern sind auch die Konsumenten- und Produzentenpreise in den osteuropäischen Ländern angestiegen. Neben den bekannten Corona-bedingten Auswirkungen auf die Inflation stiegen die Inflationsrisiken durch den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine nochmals deutlich an.
Die Importabhängigkeit (Stand 2020) vieler osteuropäischer Staaten von Öl und Gas liegt oberhalb von 75%, lediglich Rumänien kann hier durch eine vergleichsweise geringe Abhängigkeit von Öl- (65%) und Gasimporten (17%) positiv überzeugen (Abbildung 1). Das gilt ebenfalls für die laufenden Rohstoffimporte aus Russland. Dem gegenüber sind die baltischen Staaten sehr stark auf russische Rohstofflieferungen angewiesen (Abbildung 2).
Abbildung 1: Importabhängigkeit von Öl und Gas*; (Quelle: Eigene Darstellung, Eurostat, 30.03.2022)
Abbildung 2: Öl- und Gas-Importe aus Russland*; (Quelle: Eigene Darstellung, Eurostat, 30.03.2022)
* Vermerk: Prozentwerte oberhalb von 100% schließen auf einen Aufbau der Lagerbestände.
Der Markt rechnet mit weiter steigenden Inflationszahlen, insbesondere in der osteuropäischen Region, die engere Handelsbeziehungen zur russischen Wirtschaft pflegen. Dies begründet sich in den wieder zunehmenden Lieferengpässen, sowie ansteigenden Rohstoffpreisen und massiven Sanktionen gegenüber Russland. Die Inflationsrisiken werden ebenfalls von aufkommenden Wachstumsrisiken der Länder begleitet. Des Weiteren sorgen fiskalpolitische Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung von Kriegsflüchtlingen und der Stützung von Wirtschaftssektoren für erhöhte Ausgaben der Länder.
Durch die wachsenden Inflationsrisiken haben einige osteuropäischen Zentralbanken bereits im zweiten Halbjahr 2021 mit dem Zinsstraffungszyklus begonnen. Somit liegen die Policy Rates derzeit schon bei 3,50% in Polen, 4,40% in Ungarn und 2,50% in Rumänien. Ferner sind noch weitere Zinsschritte zu erwarten.
Im Zuge der o.g. Entwicklungen stiegen die Risikoprämien für osteuropäische Staatstitel an. Abbildung 3 zeigt hierzu den Verlauf der Asset-Swap-Spreads (Differenz zwischen den Renditen osteuropäischer Staatstitel und dem jeweiligen Swapsatz) vom J.P. Morgan Euro EMBI Global Diversified Europe Index am aktuellen Rand. Die jüngste Ausweitung der Spreads wirkte sich nachteilig auf die Performance des Index aus, sodass dieser seit Jahresbeginn einen Verlust von -14,2% verzeichnet. Deutsche Staatspapiere verzeichnen in diesem Zeitraum bei etwa gleicher Duration einen Verlust von -5,66%.
Abbildung 3: Asset-Swap-Spread J.P. Morgan Euro EMBI Global Diversified Europe Index (Quelle: Eigene Darstellung, Bloomberg, 31.03.2022)
Betrachtet man die letzten fünf Jahre, erscheint das aktuelle Level der osteuropäischen Spreads perspektivisch günstig. Weitere geopolitische Eskalationen sind jedoch nicht auszuschließen, weshalb die Lage am Kapitalmarkt angespannt bleibt.
Hinweis
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August 2023
Die Rezessionsgefahr in den USA scheint gebannt. Dies signalisiert zumindest die Konsenserwartung für das US BIP-Wachstum im laufenden Jahr, die sich im August um 0,4 Prozentpunkte auf +2,0% erhöhte. Passend dazu überraschten die seit Juli berichteten amerikanischen Wirtschaftsdaten mehrheitlich positiv. Andererseits trübte sich aber die Stimmung im Dienstleistungssektor im August erneut ein und verharrte in der Industrie auf Rezessionsniveau. Zudem bestärkte der starke Rückgang der offenen Stellen im Juli die Erwartung einer baldigen Abschwächung am US Arbeitsmarkt. Keinen Anlass zu Optimismus geben die Konjunktur- und Stimmungsindikatoren im Euroraum, die seit Juli überwiegend enttäuschend ausfielen. Vor allem sackte die Stimmung im Dienstleistungssektor, der bislang noch als Wachstumsstütze fungiert hatte, erstmals seit 2022 wieder unter die Expansionsschwelle. Für das dritte Quartal droht daher eine erneute wirtschaftliche Abschwächung gegenüber dem im zweiten Quartal verzeichneten moderaten BIP-Anstieg. Auch in China trübten sich die Wachstumsaussichten weiter ein, angesichts fortdauernder Probleme im Immobiliensektor, hoher und steigender Jugendarbeitslosigkeit sowie des ungewissen Erfolgs der jüngst beschlossenen staatlichen Stützungsmaßnahmen.
Ein positiver Aspekt von Chinas konjunktureller Schwäche ist die nachfrageseitige Entlastung der Rohstoffmärkte bzw. Unterstützung des weltweiten Disinflationstrends. Aus Notenbank-Sicht zentral für die Inflationsbekämpfung bleibt aber die Lohndynamik. Trotz etwas schwächerem Wachstum im zweiten Quartal ist es zu früh, um von einer Trendwende beim Lohnwachstum zu sprechen. Angesichts der hartnäckig hohen (und teils durch Preisanstiege bei lohnkostenintensiven Dienstleistungen getriebenen) Kerninflation haben Fed und EZB im August die Tür zu weiteren Leitzins-Erhöhungen offengelassen. Stellt sich das erhoffte „Soft Landing“ der US Wirtschaft ein, so erweitert sich das Zeitfenster, in dem die Fed auf dem erreichten Zinsniveau verharren und ein Abflauen der Inflationsdynamik abwarten kann. Diesen Luxus hat die EZB nicht. Sie wird im Zweifel eher einen Zinsschritt mehr beschließen und eine „milde Rezession“ in Kauf nehmen, um die Teuerung schnell zum Zielwert zurück zu führen - bevor die Schuldentragfähigkeit einiger Euro-Mitgliedstaaten vom Rentenmarkt wieder thematisiert wird.
Hinweis: Diese Publikation dient ausschließlich der Information und beinhaltet keine Handlungsempfehlung. Die enthaltenen Aussagen stellen die aktuelle Ansicht der geschilderten Umstände sowie unverbindliche Analysen und Prognosen der Gothaer Asset Management AG zu gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen dar, die ohne vorherige Ankündigung geändert werden können. Wertentwicklungen der Vergangenheit und Prognosen sind keine verlässlichen Indikatoren für zukünftige Wertentwicklungen. Trotz sorgfältiger Auswahl der Quellen und Prüfung der Inhalte übernimmt die Gothaer Asset Management AG keine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der in dieser Publikation gemachten Informationen.
Juli 2023
Von: Marius Gero Daheim
In den aktuellen Frühindikatoren deutet sich für das zweite Halbjahr eine gegenläufige wirtschaftliche Entwicklung beiderseits des Atlantiks an. Während sich in den USA die Stimmungsindikatoren im Juli sowohl für die Industrie als auch den Dienstleistungssektor verbesserten, schwächten sie sich im Euroraum in beiden Sektoren weiter ab. Weniger divergent als die Stimmung stellt sich die realwirtschaftliche Entwicklung dar: In beiden Wirtschaftsräumen entwickelte sich die Konjunktur im zweiten Quartal dynamischer als im ersten. Obwohl die BIP-Daten den sprichwörtlichen Blick in den Rückspiegel darstellen, werden sie von Konjunkturoptimisten als Bestätigung gewertet. Für die USA erwartet der Konsens inzwischen wieder ein Jahreswachstum von 1,6% - so hoch wie zuletzt im Juni 2022. Für den Euroraum wurde für Q2 ein BIP-Wachstum von 0,3% gemeldet und zudem der Wert für das erste Quartal aufwärts revidiert. Die zuvor berichtete „technische Rezession“ im Winterhalbjahr 2022/23 hat, statistisch gesehen, also gar nicht stattgefunden. Als widerstandsfähig gegenüber den geldpolitischen Straffungen, geprägt durch Fachkräftemangel und hohe Lohnzuwächse, erweisen sich die Arbeitsmärkte beider Regionen.
Währenddessen hat sich die Rückbildung der Inflation sich bis zum aktuellen Rand fortgesetzt: So lag die US-Gesamtteuerung im Juli nur noch bei 3%, d.h. sechs Prozentpunkte unter ihrem Höchststand Mitte 2022. Im Euroraum wurde für Juli eine Teuerungsrate von 5,1% berichtet, was etwa halb so hoch ist wie der Inflationsgipfel vom Oktober 2022. Die aus Notenbanksicht maßgebliche Kerninflation erweist sich jedoch als hartnäckig; vor allem im Dienstleistungssektor drohen die steigenden Lohnkosten auf die Preisentwicklung durchzuschlagen. Fed und EZB haben daher nach ihren Leitzinserhöhungen im Juli die Tür für weitere Straffungsmaßnahmen offengehalten, gleichzeitig aber jegliche Vorfestlegungen vermieden. Die überraschend positive Entwicklung der Zins- und Aktienmärkte zu Monatsende spiegelt die Einschätzung wider, dass die geldpolitischen Straffungskampagnen in den USA und dem Euroraum bereits abgeschlossen sind und die Eindämmung der Inflation zügig und ohne den zuvor befürchteten Kollateralschaden einer Rezession gelingen wird. Dieser Optimismus dürfte im weiteren Jahresverlauf einem Härtetest unterzogen werden, wenn sich die Bremswirkung der bisherigen Straffungen voll entfalten.
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Juni 2023
Von: Marius Gero Daheim
Die seit Mitte Mai für den Euroraum berichteten Stimmungs- und Aktivitätsindikatoren fielen mehrheitlich enttäuschend aus, wogegen in den USA positive Datenüberraschungen überwogen. Die Industrie befindet sich in beiden Wirtschaftsräumen in einer Rezession, während die Nachfrage nach Dienstleistungen die Konjunktur stützt. Dabei werden unternehmensnahe Dienstleistungen zunehmend von der Schwäche der Industrie angesteckt, während freizeit- und konsumnahe Dienstleistungen im Sommerhalbjahr noch positive Impulse setzen könnten. Der Euroraum befindet sich seit Oktober 2022 in einer „technischen“ Rezession. In den USA wurde dagegen im ersten Quartal ein Wachstum von annualisiert 2% erzielt. Auch hier droht jedoch im Herbst eine Rezession.
An der inflationsfront bleibt die Lage uneinheitlich. Zwar sind die Teuerungsraten beiderseits des Atlantik gegenüber ihren Höchstwerten im Juni bzw. September 2022 inzwischen deutlich gefallen - als Folge günstigerer Energie- und teils auch Nahrungsmittelpreise. Die Kerninflation allerdings erweist sich als hartnäckig. In den USA fällt sie nur zögerlich, im Euroraum ist sie bis zuletzt weiter gestiegen. Zunehmend erweisen sich Lohnerhöhungen als neuer Kostentreiber, insbesondere im Dienstleistungssektor.
Angesichts dessen nehmen die Notenbanken nun weitere geldpolitische Gegenmaßnahmen ins Visier, um einer Verfestigung der Inflation über eine Lohn-Preis-Spirale keine Chance zu geben, für die wegen der anhaltend niedrigen Arbeitslosigkeit ein erhöhtes Risiko besteht. Die US Fed dürfte nach ihrer „Zinspause“ im Juni am 26.07. und eventuell am 20.09. jeweils einen weiteren 25 Bp-Leitzinsschritt beschließen. Bei der EZB könnte dem als sicher geltenden Zinsschritt am 27.07. zumindest ein weiterer am 14.09. folgen. Da die Geldpolitik bereits jetzt deutlich restriktiv wirkt, ist das avisierte Vorgehen von Fed und EZB riskant. Offenbar sind die Notenbanken aber zurzeit eher bereit, die Inflationsgefahr zu überschätzen als den Fehler von 2021/22 zu wiederholen und sie zu unterschätzen. Aus geldpolitischer Sicht ist dies verständlich, da die gesamtwirtschaftlichen Kosten einer kurzen, harten Rezession geringer und eher beherrschbar sein dürften als jene, die mit der Eindämmung einer verfestigten Inflation verbunden wären.
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Mai 2023
Von: Marius Gero Daheim
Die Mehrzahl der seit Mitte April berichteten Wirtschaftsdaten weisen für die USA und den Euroraum eine fortschreitende konjunkturelle Abschwächung, einhergehend mit einer sich vertiefenden Spaltung zwischen expandierenden Dienstleistungen und schrumpfender Güterproduktion. In den USA droht im zweiten Halbjahr eine milde Rezession. Deutschland mit seiner industrielastigen Wirtschaftsstruktur ist als bisher einziges EU-Land bereits im Winterhalbjahr 2022/23 in die Rezession gefallen; eine nachhaltige Konjunkturbelebung im Jahresverlauf ist unwahrscheinlich. Erstens dürften die während der Pandemie aufgebauten Auftragspolster in Industrie und Bau bis zum Herbst abgearbeitet sein, zweitens die hohe Inflation den Privaten Konsum dämpfen und drittens die straffe Geldpolitik die zinssensitiven Anlage- und Bauinvestitionen ausbremsen. Die schon seit längerem für 2023 befürchtete Stagflation wird immer wahrscheinlicher.
Angesichts des Verlusts an Wachstums-Momentum beiderseits des Atlantiks überrascht die Widerstandsfähigkeit der Arbeitsmärkte. Immer häufiger werden hierfür strukturelle Faktoren (Demografie, Fachkräftemangel) als Erklärung herangezogen. Denn selbst bei Berücksichtigung der üblichen geldpolitischen Wirkungsverzögerungen müsste zumindest in den USA ein zyklischer Anstieg der Arbeitslosigkeit eigentlich unmittelbar bevorstehen. Daher erscheint die von der US Notenbank avisierte Pause im Zinserhöhungszyklus sinnvoll, um zinspolitisch nicht zu „überziehen“. Zudem ermöglicht sie der US Notenbank eine neutrale Haltung im politischen Tauziehen um die Anhebung der US-Schuldenobergrenze.
Nach der nur noch „kleinen“ Zinserhöhung im Mai werden auch im EZB-Rat weitere Leitzinserhöhungen zunehmend kontrovers diskutiert. Entscheidender als die Höhe des Zinsgipfels ist, wie lange der Leitzins auf dem Zielniveau verharren muss, um die Inflationswelle zu brechen. Da Zweitrunden-Effekte bereits eintreten und den Inflationsrückgang bis in 2024 verzögern werden, dürfte die EZB bald vor ihrer nächsten Herausforderung stehen - einen restriktiven Kurs bei schwacher Wirtschaft und gegen politischen Druck durchzuhalten. Der Startschuss eine Rentenmarkt-Rallye wird noch länger auf sich warten lassen.
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April 2023
Von: Marius Gero Daheim
Die Wirtschafts- und Stimmungsindikatoren in den USA und dem Euroraum haben im März und April - noch - mehrheitlich positiv überrascht. Im Detail zeichnen sie aber das Bild einer gespaltenen und zunehmend fragilen Konjunktur. Ob sich eine „milde“ Rezession vermeiden lässt, wird sich erst zur Jahresmitte zeigen, wenn die geldpolitischen Straffungen von Fed und EZB ihre volle Bremswirkung entfalten. Dreh- und Angelpunkt bleiben die bis zuletzt sehr stabilen Arbeitsmärkte, die dadurch befeuerte Lohndynamik und letztlich die Entwicklung der verfügbaren Realeinkommen. Kräftige Lohnzuwächse werden den Konsum im Jahresverlauf stabilisieren, gleichzeitig aber den aktuellen Disinflationstrend abbremsen und den geldpolitischen Handlungsdruck aufrechterhalten.
Voraussetzung für die von der Fed erhoffte weiche Landung der Konjunktur ist und bleibt ein behutsames geldpolitisches Vorgehen. Denn neben den zinssensitiven Immobilienmärkten sendet inzwischen auch der Bankensektor Warnsignale. Zwar scheint das Risiko einer systemischen Finanzkrise weiterhin beherrschbar. Dennoch sollten die ins Schlaglicht geratenen Finanzstabilitätsrisiken ausreichen, um die Phase der großen Leitzinsschritte zu beenden. Die Markterwartungen der „Terminal Rate“ für den US Leitzins wurden seit März um 75-100 Bp revidiert, sodass für Mai keine 25 Bp Zinserhöhung mehr eingepreist ist. Dagegen wird für den Einlagensatz der EZB das zyklische Leitzins-Hoch jetzt etwas höher, bei 3,50-3,75% verortet. Angesichts der aktuellen Lohndynamik und bis zuletzt gestiegenen Kerninflation ist ein weiterer 50 Bp-Zinsschritt im Mai wieder wahrscheinlicher geworden.
Die latenten Risiken für die Finanzstabilität mindern die Vorhersehbarkeit der Geldpolitik. Ungewiss ist zudem, wie sich die fortschreitende „quantitative Straffung“ der Geldpolitik auf die zuvor durch Notenbankkäufe gestützten Assetklassen auswirkt - insbesondere bei zunehmender Rezessionsgefahr und entsprechend abnehmender Risikoneigung der Anleger. Die zuletzt richtungslose Tendenz der Aktienmärkte deutet an, dass eine Marktkorrektur einsetzen könnte, sobald sich erste Anzeichen einer Arbeitsmarkt-Abschwächung zeigen.
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Chief Economist bei der Gothaer Asset Management AG.
Die Artikel auf dieser Seite stammen von Teammitgliedern aus dem Bereich Liquid Assets unter der Leitung von Carmen Daub und Dr. Klaus Michael Menz.
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